Unerschrocken und todesmutig? Ein kurzer Kommentar zum Spiel „Undaunted“

Das Spiel „Undaunted: Normandie“ hat unzählige positive Besprechungen erhalten, zuletzt überschwänglich positiv auch auf dem Gemeinschaftsblog „Boardgame Historian“. Die Lokalisierung für den deutschsprachigen Markt über die Spieleschmiede war erfolgreich ebenso wie das Nachfolgeprojekt zum Kriegsgeschehen in Nordafrika.

Da es bereits viele Texte und Videos zum Spiel gibt, verzichte ich hier auf eine allgemeine Einführung und eine Erklärung der Regeln. Das kann an anderer Stelle nachgelesen oder -geschaut werden. Hier möchte ich nur eine kurze Beobachtung teilen, die mir an dem Spiel aufgefallen ist.

Beim Öffnen der Box schaut man auf die beiden Offiziere, links der US-Amerikaner, rechts der deutsche Offizier:

Ich musste zwei Mal hinschauen. Ja, tatsächlich, der nett wirkende, onkelhafte Typ rechts repräsentiert den Deutschen, der schreiende Soldat mit einem zu einer wilden Grimasse verzerrten Gesicht ist den US-Truppen zugeordnet. Die NS- Symbole fehlen übrigens in der englischsprachigen Ausgabe ebenso wie in der deutschen.

Anders als von Markus Bassermann bei Boardgame Historian formuliert sehe ich hierbei eher einen Bruch mit den Traditionslinien der Darstellung des 2. Weltkriegs in internationalen Filmen und Videospielen: Dort findet sich meist eine mehr oder weniger klare Gut-Böse-Gegenüberstellung, in der „die Deutschen“ mehrheitlich negativ charakterisiert werden – während man in deutschen Nachkriegsproduktionen – u.a. Literatur wie Filmen – eher eine Differenzierung von vermeintlich guten Soldaten, die sich selbst als Opfer des Krieges wahrnehmen, und bösen Nazis und SS-Leuten findet.

Solche Zuschreibungen fehlen in „Undaunted“ – wie auch sonst in Wargames, in deren Tradition das Spiel, das allerdings viel einfacher und zugänglicher ist, tatsächlich steht. Spiele unterscheiden sich als Medien wesentlich u.a. von Filmen oder Büchern, die eine Perspektive vorgeben können: Die Spielenden können sowohl die Deutschen wie die US-Amerikaner spielen. Beide Seiten haben die Möglichkeit, die einzelnen Spielpartien zu gewinnen (siehe dazu auch den Beitrag: „Nazis spielen?“).

In den „Historischen Anmerkungen“ auf der vorletzten Seite der Anleitung weisen die Autoren darauf hin, dass das Spiel vom 2. Weltkrieg nur inspiriert sei und nicht mit einer Simulation „verwechselt“ werden solle. Es ginge vor allem darum, den Spielenden „das Gefühl“ zu geben, „einen Schützenzug zu führen“.

Braucht es dafür ein Setting im 2. Weltkrieg? Ich würde sagen: nein. Das wäre auch mit anderen Konflikten – historischen oder fiktiven – darstellbar gewesen. So liegt die Vermutung nahe, dass das gewählte historische Thema vor allem ein Verkaufsargument auf dem internationalen Markt sein soll.

Spiele müssen immer vereinfachen und abstrahieren. Daher müssen Autor:innen immer eine Auswahl treffen, was in einem Spiel dargestellt und was ausgelassen wird. Dennoch oder vielleicht gerade deshalb ist es aus meiner Sicht wichtig zu fragen, welches Bild, welche Vorstellungen von der jeweiligen Zeit, von den Ereignissen und Menschen, werden durch das Spiel in seiner Gänze (Mechaniken, Illustrationen, Anleitung etc.) transportiert, da davon auszugehen ist, dass die Vorstellung vieler Menschen von Geschichte wesentlich durch populärkulturelle Produkte wie Filme, Bücher oder eben auch Spiele geprägt wird.

Für bewusste Auslassungen oder Veränderungen bietet die Anleitung oder ein Begleitheft die Möglichkeit, diese zu benennen und zu erklären, und auf diese Weise die verkürzte Darstellung von Geschichte im Spiel in einen größeren Kontext einzuordnen. So wie die Autoren dies auch für die Darstellung der US-Soldaten in der Anleitung zu „Undaunted“ machen.

Umso mehr überrascht hat mich dann das (weder in Spiel noch in Anleitung reflektierte) Gesamtbild der deutschen Armee überrascht. Diese werden „normal“ kämpfende Truppe präsentiert, die sich von den US-Amerikanern nur durch die Farbe und Form der Uniformen unterscheiden.

Damit setzt das Spiel „Undaunted“ der Mythos einer sauberen Wehrmacht fort: also das Bild einer Armee, die nicht in die Verbrechen der Nationalsozialisten verstrickt gewesen sein soll und einen „regelkonformen“ Krieg geführt habe. Betont werden die militärischen Leistungen, ausgeblendet werden die Verbrechen (siehe dazu für den Bereich der digitalen Spielen auch den Beitrag: „World of Wehrmacht“). Obwohl die wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas bereits über 25 Jahre zurückliegt, ist es heute durchaus wieder ein politisch aktualles Thema.

Es ist sicher kein Zufall, dass als Schauplätze der Undaunted-Spiele Nordwestfrankreich und Nordafrika gewählt wurden – und nicht der Vernichtunskrieg in Mittel-, Ost- oder Südosteuropa. Nun ist es aber nicht so, dass die deutsche Armee an der Westfront keine Kriegsverbrechen begangen hätte. Beispielhaft seien hier nur drei Ereignisse genannt, die in direktem Zusammenhang mit der Landung der Alliierten in der Normandie ab dem 6. Juni 1944 stehen:

Diese Massaker – u.a. Geiselerschießungen und Hinrichtung von Kriegsgefangenen – waren integraler Bestandteil der deutschen Kriegsführung. Die militärischen Handlungen der deutschen Armee können deshalb nicht losgelöst von diesen Kriegsverbrechen betrachtet werden. Auch wenn Spiele in der Darstellung von Geschichte notwendigerweise verkürzen, vereinfachen und abstrahieren müssen, wäre hier aus meiner Sicht eine Einordnung der Darstellung des Kriegsgeschehens im Spiel durch ergänzende Informationen in der Anleitung oder einem Begleitheft dringend notwendig gewesen.

Interessant übrigens auch, dass im deutschen Titel nur die Ortsangabe übersetzt wurde, aber das Wort „Undaunted“ unübersetzt blieb. „Undaunted“ bedeutet soviel wie „unerschrocken“ oder „todesmutig.“ So heißt es in einem Werbetext zum Spiel auf der deutschen Packung wie auch in der Anleitung:

„Gebt eure Befehle, bietet dem Feind die Stirn und bleibt unerschrocken!“

Angesichts der deutschen Kriegsverbrechen auch in Frankreich stellt sich mir die Frage: Echt jetzt? Meinen die das ernst?

Ich finde es gut, wenn Spiele schwierige und sensible Themen aufgreifen. Die Voraussetzung ist aber eine gute Recherche und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Kontext. Wenn sensible Themen auf diese Weise in Spielen übergangen werden, sollte man es lieber lassen. Zu wünschen wäre, dass das Spiel spätestens in der nächsten Auflage eine einordnende Ergänzung zur Kriegsführung und den Kriegsverbrechen erhält.