Mexiko in Spielen: immer feste druff

Piñatas sind mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum bekannt. In Lateinamerika gehören sie fest zu den Traditionen bei verschiedenen Feiern. Die Traditionen unterscheiden sich von Land zu Land. So werden piñatas z.B. in Ecuador mit mehreren Fäden, die gezogen werden, am Bauch geöffnet, so dass die Süssigkeiten herausfallen, aber die piñata weitgehend unbeschädigt bleibt. In Mexiko hingegen wird sie mit einem speziellen Stab oder auch einem Baseballschläger zerhauen. Dazu singen die Umstehenden ein Lied – wer dran ist, darf so lange auf die piñata mit verbundenen Augen einschlagen, bis es im Lied heisst: „… y tu tiempo se acabó“ (… und deine Zeit ist vorbei). Beim Schlagen auf die piñata gilt das Motto: immer fest druff – ohne Rücksicht auf Verluste. Es passieren immer wieder Unfälle – YouTube ist voll von entsprechenden Videos. Wer mag, kann mal unter „piñatas fails“ oder „piñatas accidentes“ schauen.

Tatsächlich scheint der Kampf um die aus der piñata purzelnden Süssigkeiten in Mexiko etwas härter und ernster. Piñatas gehören hier in Mexiko zu jeder Geburtstagsfeier, aber auch zu Weihnachten. So habe ich schon Erwachsene bei einer Weihnachtsfeier gesehen, die sich auf die auf dem Boden liegenden Süssigkeiten geworfen haben – Arme und Beine ausgestreckt, um anschliessend die unter ihnen liegenden Süssigkeiten einzusammeln. Schubser und Rempler sind quasi immer dabei…

Genau diese etwas rüde mexikanische piñata-Tradition setzt Karla Günz in ihrem Spiel Dale un piñatazo, das 2022 mit der Quetzalera ausgezeichnet wurde, wunderbar um:

Das grundlegende Spielpinzip besteht darin, dass eine/e Spieler/in die Würfel wirft und die entsprechenden Aktionen ausführt. Die Süssigkeiten befinden sich in einem verdeckt liegenden Kartenstapel, der die piñata symbolisiert. Je nach Würfelergebnis fallen entweder Süssigkeiten aus der piñata (also Karten vom Stapel auf den Tisch), man darf sich eine Tüte nehmen, mit der man mehr Süssigkeiten halten kann, eine Süssigkeit direkt essen (und damit kann sie einem nicht mehr weggenommen werden) oder die Würfeln zeigen exakt die Buchstaben „P-I-Ñ-A-T-A“, dann hat man diese mit einem Schlag zerhauen und sofort gewonnen.

Auf den Karten finden sich typische mexikanische Süssigkeiten, z.B. mit Chili überzogene Lutscher, und auch einige traditionelle Spielzeuge. Die Karten können aufgedeckt oder verdeckt auf den Tisch kommen, daher weiss man nicht immer, was man gerade bekommt bzw. vom Boden aufhebt. Da können dann auch schon mal zerbrochene Bonbons oder einfach nur Konfetti in der Hand landen.

Es gibt einige fiese Aktionskarten, die für etwas Interaktion sorgen, wie das Kaugummi, mit dem sich eine Süssigkeit von einem Mitspielenden klauen lässt (sofern dieser nicht schon alle gegessen hat) oder man kann jemanden einen „Fusstritt“ verpassen, wodurch dieser 2 Karten aus der Hand verliert…. usw.

Insgesamt gibt das Spiel in vielen kleinen Details durch die grell bunten und zugleich liebevollen Illustrationen und Namen der Karten, spielmechanische Kniffs einen schönen Einblick in die mexikanische Tradition der piñata und enthält – auch z.B. für den Spanischunterricht in der Schule – zahlreiche landeskundliche Elemente.

Interessanterweise ist im selben Jahr mit Piñata Blast ein Spiel gleichfalls von einem mexikanischen Autor, Carlos Esparza, zum selben Thema bei Ravensburger erschienen. Das Spiel ist deutlich einfacher: Es wird gewürfelt. Wenn das auf dem Würfel angezeigte Elemente in meinen Handkarten ist, kann ich schnell den Würfel nehmen, die Karte ablegen und beides zusammen vor mir ablegen. Dadurch gewinne ich Punkte. Es sei denn der Würfel zeigt mit einer anderen Farbe, dass es sich um verdorbene / zerbrochene Süssigkeiten handelt…

Es geht also um das schnelle Erfassen und Reagieren, was die Hektik des Süssigkeitensammelns unter der zerbrochenen piñata gut wiedergibt – ganz im Gegensatz zu Dale un piñatazo, dem genau dieses Element fehlt. Das Spielgeschehen dort ist eher ruhig und gemächlich – im Uhrzeigersinn machen die Spielenden ihren Zug. Bei Piñata Blast sind einige wenige typische Süssigkeiten auf den Karten abgebildet. Das war es aber auch schon. Daher würde ich als thematisches Spiel für alle, die sich für Geburtstagsbräuche in anderen Ländern, piñatas im Besonderen oder Mexiko im Allgemeinen interessieren, auf jeden Fall Dale un piñatazo empfehlen.

Im nächsten Beitrag geht es dann um das Spiel „Tequila“, das im letzten Jahr die Quetzalera in auf der Roll-A-Game-Expo in Guadalajara gewonnen hat.

Mexiko in Spielen – worum geht’s?

In einer kleinen, noch offenen Reihe möchte ich ein paar Spiele vorstellen, die Mexiko als Thema haben. „Mexiko“ scheint ein durchaus beliebtes Thema in Brett- und Kartenspielen – nicht so populär wie „Wikinger“, „Mittelalter“ oder zuletzt auch immer wieder „Tiere“, aber es scheint durchaus attraktiv zu sein. Meist ist es nicht Mexiko als Ganzes, sondern bestimmte historische (wie die präkolumbianischen Kulturen, z.B. in Teothihuacan) oder kulturelle Aspekte (wie der Día de los Muertos).

Mexiko ist tatsächlich ein richtiges Brettspielland. Gespielt wird gerne und viel. Es gibt in den großen Städten Brettspielläden, Brettspielcafés, einige Autor:innen und Verlage, Blogs, Podcasts, einen eigenen Spielepreis („Quetzalera„), eigene Spiele-Messen usw. Das spielerische Zentrum des Landes liegt übrigens – ähnlich wie in Deutschland – nicht in der Hauptstadt, sondern in Guadalajara („Juegalajara“ – Verbindung aus Spanisch Juego = Spiel und dem Namen der Stadt), ca. 6,5 Autostunden nordwestlich von Mexiko-City.

Da bislang in Deutschland wenig bekannt, möchte ich zum einen Spiele mexikanischer Autor:innen vorstellen – insbesondere solche, wenn auch nicht ausschließlich, die sich auch thematisch mit Mexiko beschäftigen. Interessanterweise gibt es vergleichsweise viele hier entwickelte Spiele, die Mexiko als Thema aufgreifen – vielleicht fällt mir als Ausländer das aber auch nur besonders auf. Das Land hat auf jeden Fall spielerisch einige Entdeckungen zu bieten.

Zum anderen möchte ich auch einen Blick auf Spiele werfen, die sich mexikanisch einkleiden und untersuchen, wie die verschiedenen Aspekte mexikanischer Kultur in diesen Spielen repräsentiert werden. Damit einher geht dann auch die Frage nach dem Warum bzw. der Funktion von Mexiko als Thema in Spielen, die außerhalb des Landes sich der mexikanischen Kultur und Geschichte bedienen.

Als erstes stelle ich im folgenden Beitrag ein Spiel der mexikanischen Autorin Karla Günz vor. Sie kommt aus Guadalajara und hat 2023 das Spiel „Dale un piñatazo“ im Eigenverlag veröffentlicht.