Wenn es ein Autor aus Ecuador ist, würde ich schon etwas anderes erwarten als ein Standardthema wie Piraten …
Über diese Rückmeldung habe ich lange nachgedacht. Seit fast einem halben Jahr lebe ich jetzt in Quito, der Hauptstadt Ecuadors. Aktuell unterstütze ich einen Autor, der ein wirklich tolles Spiel gemacht und dieses bisher nur im Eigenverlag in Ecuador veröffentlicht hat, das Spiel in einer überarbeiteten, zweiten Version auf den internationalen Markt zu bringen. In der Vorbereitung haben wir überlegt, für die Neuauflage des Spiels das Thema zu ändern, Wir haben BGG, Facebook, Twitter genutzt, um von außen Rückmeldungen zu möglichen, zu den vorhandenen Spielmechaniken passenden Themenideen zu bekommen. In diesem Zusammenhang fiel mehrfach der eingangs zitierte Satz – so oder in ähnlicher Weise.
In den letzten Monaten ist in der internationalen Brettspielszene aus gutem Grund viel über Diversität diskutiert worden. Das Thema wird auch nicht mehr weggehen. Damit verbunden zu sein scheint u.a. aber interessanterweise auch unterschwellig die Vorstellung, dass durch mehr Diversität bei den Autor*innen auch die Themen der Spiele vielfältiger werden.
Dass dies der Fall sein kann, zeigen die breite Vielfalt an Epochen, Regionen und Themen der eingereichten Spiele mit Geschichtstsbezug beim Zenobia Award.
Dass dies aber nicht zwingend so sein muss und als Erwartungshaltung durchaus ein Problem darstellen kann, lässt sich eigentlich leicht nachvollziehen. Der Brettspielmarkt ist international. Das heißt weltweit orientieren sich Spieler*innen, an den Neuerscheinungen mit großen Auflagen vor allem aus Europa und den USA, die Preise gewinnen, in Zeitschriften, Blogs und YouTube-Channels besprochen werden.
Naheliegenderweise orientieren sich auch viele Autor*innen außerhalb von Europa und den USA genau an diesen, ihren Vorbildern. An den Spielen, die sie selbst gerne spielen. Genau solche Spielen möchte sie auch selbst gerne entwickeln. Zum einen spielen sie selbst gerne, zum anderen sehen sie ja auch, welche Themen international (immer wieder) erfolgreich sind – übrigens durchaus vergleichbar zu anderen Bereichen wie Filme oder Bücher, wo auch bestimmte Genres besonders beliebt und oft reproduziert werden.
Nun würde niemand erwarten, dass ein*e Spieleautor*in aus Bayern ein besonders „bayrisches“ oder jemand aus Berlin ein besonders typisches „Berliner“ Spiel macht – was sollte das auch sein? Die europäischen Autor*innen und Verlage siedeln ihre Spiele in den den unterschiedlichsten Welten, Zeiten und Settings an.
Die eingangs wiedergegebene Erwartungshaltung impliziert hingegen, dass ein*e Autor*in aus Ecuador – oder enem anderen z.B. südamerikanischen oder afrikanischen Land die eigene (als anders antizipierte) Lebenswelt in die Spiele einfließen lassen sollte. Bei dieser Erwartung handelt es sich allerdings vor allem um die Projektion eigener Vorstellungen über diese Länder und Regionen und sie reproduziert damit als Fremdzuschreibung wiederum eine weiße, europäisch-nordamerikanische Sicht. Diese steht übrigens in einer Traditionslinie des Kolonialismus, das Exotische zu suchen und dem Anderen diese eigene Vorstellung von dessen Andersartigkeit zuzuschreiben.
Dabei handelt es sich um eine Form von Kulturalismus – wie man sie in vielen Bereich findet, so auch z.B. im pädagogischen Kontext, wenn ein*e Lehrer*in einem Schüler aufgrund eines wirklichen oder manchmal auch nur vermuteten Migrationshintergrund Kenntnisse oder Interesse an bestimmten Themen unterstellt („Du kommst doch aus der Türkei, das ist doch für dich doch besonders interessant, mach du mal das Referat über den Islam…“)
Das mag oft gut gemeint sein, ist aber – das konkrete Beispiel aus der Schule zeigt es, glaube ich, sehr deutlich – gleichermaßen problematisch.